Mit Vollgas in die nukleare Sackgasse

Felix Maise,

Bei seinem Amtsantritt vor fünf Jahren schien Präsident Emanuel Macron noch für einen Kurswechsel in der französischen Energiepolitik zu stehen. Seine Wiederwahl gewinnt er als AKW-Propagandist.

«Die Zeit der nuklearen Renaissance ist gekommen», verkündete Staatspräsident Emanuel Macron im Februar in der AKW-Turbinenfabrik in Belfort, welche der französische Stromgigant EDF soeben auf Geheiss der Regierung vom US-Konzern General Electric gekauft hat. «Frankreich entscheidet sich für Unabhängigkeit und Freiheit.» Das flammende Bekenntnis zur Atomenergie erfolgte rund zwei Monate vor seiner eben erfolgten Wiederwahl. Im Wahlkampf war das Thema Energiepolitik dennoch kaum präsent. Im grossen Feld der Kandidatinnen und Kandidaten hatten sich einzig Yannick Jadot von den Grünen und Linkskandidat Jean-Luc Melenchon für einen Ausstieg aus der Atomenergie ausgesprochen. Alle anderen sangen das Hohe Lied der Atomtechnologie, die in Frankreich als klimaschonend und preisgünstig propagiert wird. Marine Le Pen forderte gar die Wiederinbetriebnahme von Fessenheim, bis ihr die EDF erklärte, dass das nach der Abschaltung des Werks nicht mehr möglich sei. Statt um politische Sachfragen wie die Energiepolitik stritt man in Frankreich auch bei dieser Wahl wie immer nur um die Person des Präsidenten, der alles richten soll.

Weit zurück bei den Erneuerbaren

Als junger Wirtschaftsminister in der Regierung Hollande war Macron einst damit aufgefallen, dass er sich vom traditionell nuklearbegeisterten Diskurs der französischen Polit-, Wirtschafts- und Wissenschaftselite nicht beeindrucken liess, sondern Nutzen und Kosten genau analysierte. Als Staatspräsident kam ihm sein nüchterner Blick schnell abhanden. Das offizielle Ziel, den nationalen Strommix weg von der einseitigen Ausrichtung auf Atomstrom zu bringen, wurde unter seiner Regierung aufs ferne Jahr 2035 verschoben. Beim Ausbau erneuerbarer Energien hinkt Frankreich trotz besten Voraussetzungen etwa für Wind- und Sonnenstromproduktion Europa weit hinterher: Erst im April nahm der erste Off-Shore-Windpark den Betrieb auf.

Widerstand gegen die nukleare Renaissance leisten inzwischen nur noch die in den Wahlen erfolglosen Grünen und Greenpeace. Immerhin Bedenken meldet regelmässig auch die oberste staatliche Finanzkontrolle, der Cour des Comptes. Jahr für Jahr warnt der Rechnungshof vor den permanenten finanziellen Entgleisungen der Atompolitik.  Dabei sind die Pleiten und Pannen beim Bau des neuen EPR-Reaktors in Flamanville nur der sichtbarste Ausdruck. Doch angesichts der historischen Bedeutung, die Macron seiner nuklearen Renaissance zuschreibt, bleiben die Atomskeptiker ungehört. Die Lösung zentraler Fragen wie die Finanzierung oder die Entsorgung des Atommülls verschiebt man nach bewährtem Muster auf später. «Frankreich wählt den Fortschritt und vertraut der Technik», beschwörte Macron in Belfort die Nation.

Es fehlt das Geld

Dabei sind seine ehrgeizigen Atompläne aus heutiger Sicht gar nicht finanzierbar. Der Stromgigant EDF ächzt unter einem Berg von Schulden, der seit Jahren nicht kleiner, sondern immer grösser wird. Ohne immer neue Zuschüsse aus der Staatskasse könnte das quasimonopolistische Staatsunternehmen, das ständig marode Zweige der eigentlichen Atomindustrie übernimmt, nicht überleben. Ein Beispiel: Die Turbinenfabrik in Belfort, Bühne für seinen flammenden Pro-AKW-Auftritt, hatte Macron als Wirtschaftsminister vor sieben Jahren noch gerne an den US-Konzern General Electric verkauft. Jetzt wies er die EDF an, die Fabrik zurückzukaufen, weil sie sich im freien Markt als nicht mehr wettbewerbsfähig erwies.

Zwar will Macron künftig auch die bisher im Land fast überall heftig bekämpften Windturbinen stärker fördern. Doch seine Atombegeisterung erscheint sehr viel grösser: Sechs neue, leistungsstarke EPR-Reaktoren soll die EDF bauen, den ersten bis 2035, der Einfachheit halber alle an bisherigen AKW-Standorten. Für weitere acht EPR-Reaktoren gibt es eine Option., ebenso für die Entwicklung von kleinen, sogenannt modularen SMR-Reaktoren.  Die über 50 bestehenden Atommeiler, die alle ans Ende ihrer einst geplanten Lebensdauer von 40 Jahren kommen, und sich in den letzten Monaten als sehr pannenanfällig erwiesen, will er zehn Jahre länger laufen lassen. Dazu müssen die meisten teuer nachgerüstet werden. Das alles kostet Milliarden, welche die EDF als Betreiberin schlicht nicht hat.

Das Unternehmen schätzt die Kosten der sechs geplanten EPR-Reaktoren optimistisch wie immer auf 50 Milliarden Euro – der erste finanziell und technisch aus dem Ruder gelaufene EPR-Reaktor in Flamanville allein hat bis jetzt 19 Milliarden gekostet und ist auch 10 Jahre nach der einst geplanten Betriebsaufnahme noch immer nicht am Netz. Private Investitionen sind deshalb dringend nötig. Auf diesem Hintergrund wird klar, weshalb sich Frankreich in der Frage der steuerlichen Begünstigung, der sogenannten Taxonomie, in der EU derart vehement und leider erfolgreich für das Greenwashing der Atomenergie einsetzte.

Militärische Interessen

Von einem anderen, ganz speziellen Interesse an der Atomtechnologie wird öffentlich hingegen kaum je geredet: Die ehemalige Weltmacht Frankreich ist auch eine militärische Atommacht und stolz darauf. Wie alle Atommächte ist Paris auch deshalb auf eine heimische Atomindustrie und deren Fachwissen angewiesen. Nicht zuletzt auch deshalb unterstützen die zwei Atommächte Frankreich und Grossbritannien die Nukleartechnologie stärker als Deutschland und die übrigen Europäer.

Felix Maise

Felix Maise

Der ehemalige Tages-Anzeiger-Redaktor ist seit 27 Jahren im Elsass wohnhaft.



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